Erlebt - Das 9-Euro-Abenteuer - Tag 4

Das 9-Euro-Abenteuer – Tag 4


Berlin – Wismar – Zierow – Schwerin – Hamburg

Nach dem Auschecken im Hotel decken wir uns bei einem nahegelegenen Discounter mit Wegzehrung ein, dann geht's mit dem Bus zum Bahnhof Zoo. Unser erstes Ziel ist Wismar, von dort aus wollen wir auf die Insel Poel fahren, wo es einen schönen Ostseestrand geben soll.


Der doppelstöckige Regio kommt mit ein paar Minuten Verspätung an – und er ist leider schon rappelvoll. Die Gepäckablagen bieten lächerlich wenig Platz, also schieben wir unsere Taschen in eine wohl dafür vorgesehene Lücke zwischen den Sitzen und stellen uns in den Gang. Eine ältere Dame nimmt ihre Tasche vom Sitz, so dass mein Ältester sich setzen kann, mein Jüngster hockt sich zwischen die Koffer und Rucksäcke auf den Boden. Gegenüber hat ein Mann um die 40 mit kleinem Sohn einen kompletten Sitzplatz mit einem großen, blauen Rucksack belegt. Als ich ihn bitte, den Platz freizugeben, weigert er sich. Da wären wichtige Sachen in dem Rucksack, der bliebe da. Ich finde das unverschämt, möchte aber kein Streitgespräch führen und bleibe eben kopfschüttelnd stehen. Als eine halbe Stunde später ein altes, kleines Frauchen ebenfalls um den Platz bittet und auch abgewiesen wird, platzt mir dann aber doch der Kragen. Das sei schließlich ein Sitzplatz und keine Gepäckablage, argumentiere ich, außerdem habe er den Platz ja sicher nicht reserviert. Und ob er sich nicht schäme, der älteren Dame den Platz zu verweigern. Jetzt guckt sein Sohn ihn auch zweifelnd an und schließlich wird's dem Mann offenbar zu peinlich. Er stellt den Rucksack zwischen seine Beine auf den Boden und die Frau kann sich setzen. Geht doch! Warum nicht gleich? Als kurz darauf ein Fahrgast neben mir aussteigt, finde ich auch einen Platz, sogar mit Steckdose!

 

Die Landschaft verändert sich: Getreidefelder, Wiesen, Wäldchen und hübsche kleine Häuser, zum Teil aus roten Ziegeln erbaut. Zwischendurch auch mal ein altes, reetgedecktes Bauernhaus. Ich war noch nie zuvor in Mecklenburg und fühle mich an Schleswig-Holstein erinnert.

Die Fahrt dauert drei Stunden, allerdings hat der Zug jetzt soviel Verspätung, dass wir unseren Bus nach Poel zwar noch vorbeifahren sehen – das war's dann aber auch schon. Der nächste geht laut Fahrplan erst in zwei Stunden, aber das würde unsere Reisepläne über den Haufen werfen. Tante Google empfiehlt einen anderen Ort: in Zierow – nie gehört – soll es auch einen schönen Badestrand geben. Und in fünf Minuten fährt ein Bus dort hin ab. Wir fackeln nicht lange und fahren mit dem Bus ins Unbekannte. Und zum ersten Mal will der Busfahrer tatsächlich die Tickets sehen! Mein Ältester muss erst ein bisschen danach kramen, aber dann ist alles gut und eine halbe Stunde später sind wir da. Kleine Ferienhäuser, zum Teil im schwedischen Stil, markieren die Küstennähe. Wo ist denn jetzt der Strand? Wir gehen in Richtung eines ausgeschilderten Campingplatzes – und plötzlich sehen wir dann das Meer, diese endlose blaue Linie, die mit dem Horizont zusammen trifft. Da geht mir als Binnenländer jedesmal das Herz auf.

Ein schöner, feiner Sandstrand liegt vor uns, gut mit Sonnenhungrigen bevölkert. Ein Stück weiter links gibt es noch einen freien Platz. Wir haben die Sandalen ausgezogen, weil ja doch nur Sand hineinkommt. Aber der Sand ist glühend heiß und so gehen wir an der Wasserlinie entlang. Nach kurzer Zeit merken wir: so geht das nicht. Die anderen Badegäste haben sich Sonnenschirme aufgestellt oder ihren aufstellbaren Windschutz zum Sonnenschutz umfunktioniert; wir haben nichts dergleichen und so ziehen wir uns etwas weiter vom Strand über scharfkantiges Gras in den Schatten einiger Bäume zurück, um hier nicht gegrillt zu werden. Alicante ist nichts dagegen! Wir baden abwechselnd im Meer, das hier sehr lange flach ist, so dass man schon weit raus muss, um schwimmen zu können. In Strandnähe fühlt sich das Wasser an wie in der Badewanne, aber weiter draußen ist es angenehm kühl. Wir betrachten das muntere Treiben am Strand – wunderbar, ein richtiges Urlaubsgefühl stellt sich ein! Nur die Schlange am Eisstand ist einfach zu lang. Wir verbringen hier gut zweieinhalb Stunden, dann packen wir zusammen, streifen den Sand von den Beine  und nehmen den Bus zurück nach Wismar. Wir nutzen den Aufenthalt, um das kleine Städtchen mit seinen bunten Häusern noch ein bisschen anzusehen. Eine beeindruckende Backsteinkirche – in der es herrlich kühl ist – findet unsere Aufmerksamkeit. Meine linke Hacke tut ein bisschen weh, ich werde wohl morgen mal von den neuen Sandalen auf Schuhe umsteigen.

Das kleine Regionalbähnchen ist schön leer und bietet ein bisschen mehr Beinfreiheit. Wir fahren durch Bad Kleinen, wo 1993 die versuchte Festnahme von RAF-Terroristen in einem Desaster endete, und kommen schließlich in Schwerin an. Das Warten auf den Zug, der uns nach Hamburg bringen soll, beherrschen wir inzwischen perfekt: ständig die Anzeigen am Bahnhof kontrollieren, gleichzeitig auf der DB-App nach Gleisänderungen schauen, versuchen, das Gebrabbel der Ansagen zu verstehen – und wenn der Zug kommt, schnell taxieren, ob er da hält, wo wir stehen – und bei Bedarf losrennen.


Der Getränkeautomat am Bahnsteig ist kaputtgegangen und so laufe ich noch schnell nach unten ins Bahnhofsgebäude und erstehe an einer Bäckerei eine leicht gekühlte Apfelschorle. Kurz vor unserem Zug hält ein IC nach Hamburg, der voller Menschen ist und uns schwant Übles. Als dann aber danach unser Regionalzug kommt, ist fast niemand drin – und wir fahren zwar ohne Strom und WLAN, aber entspannt nach Hamburg.


Das mit den Steckdosen ist in Zeiten, in denen das Handy nicht nur Telefon, sondern auch Ausweis, Bankkarte, Veranstaltungsticket, Hotelzugang und Straßenkarte ist, durchaus kein Luxus. Mein älteres Modell würde keinen Reisetag überstehen, wenn ich keine Powerbank dabei hätte, die ich in jedem Hotel wieder auflade. Aber viele Züge bieten diesen Service einfach immer noch nicht.

Das Hotel für diese Nacht hatten wir am Strand in Zierow noch gebucht. Wir steigen am Hamburger Hauptbahnhof in die U-Bahn, müssen aber am Ende noch knapp 20 Minuten mit den schweren Taschen, die sich auch als Rucksack tragen lassen, durch die Hitze laufen. Und wir lernen, dass man in Hamburg besser nicht auf dem rot markierten Teil der Gehwege läuft; der gehört hier den Radfahrern, es gibt eine ganze Menge davon – und die kennen keine Gnade.


Als wir die herrlich kühlen Hotelzimmer betreten – heute sind es mal zwei, weil kein Dreibettzimmer zu kriegen war – ist es unser erster Impuls, uns auf den Betten auszustrecken und den Rest der Woche einfach nur in dieser kühlen Brise zu liegen und keinen Finger mehr zu rühren. Dann aber kehren unsere Lebensgeister zurück und wir fahren wieder in die City – hurra, um die Ecke fährt ein Bus – wo wir erst in einem Fischrestaurant essen (schließlich sind wir unter Hanseaten). Allerdings gibt es die leckeren Süßkartoffel-Knoblauch-Pommes nicht mehr, die mein Jüngster bei einem früheren Besuch hier schätzen gelernt hat. Schade – das Essen ist aber ganz manierlich und vor allem ist der Raum stilvoll mit lauter alten Schiffsteilen und Schiffmodellen ausgestaltet, sogar ein Tiefseetaucherhelm ist dabei. Die hohen Decken mit den Holzbalken sind mit maritimen Motiven bemalt und wir sitzen auf alten, dunklen Holzbänken mit hohen Lehnen. Merke: Radler heißt in Hamburg „Alsterwasser“ und wenn man nach einem anstrengenden und heißen Tag eines bestellt, „verdunstet“ es auf der Stelle.

Umfangreich gesättigt fahren wir in der letzten Dämmerung mit der U-Bahn an die Landungsbrücken hinaus. Die Pontonbrücken, der Fluss, die Schiffe, die Hafenkräne: das ist einfach ein ganz besonderer Ort, wo man sich das Fernweh um die Nase wehen lassen kann.


Heute nacht schlafen wir selig.


Bundesländer-Count: 10. Meck-Pomm, Schleswig-Holstein und Hamburg sind dazugekommen.

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