Erlebt - Das 9-Euro-Abenteuer - Zusammenfassung

Zusammenfassung

Sieben Tage lang durch die Republik fahren – ausschließlich mit Öffentlichem Nahverkehr, für den das 9-Euro-Ticket gilt. Das war die Aufgabe, die wir – meine zwei Söhne und ich – uns vom 31. Juli bis zum 6. August gestellt haben. Wie zieht man das Fazit einer solchen Abenteuer-Tour? Würden wir es wieder machen? Antwort: ja – aber nicht allzu bald. Es war anstrengend. Aber wir haben auch unglaublich viel gesehen und erlebt und beileibe nicht nur schlechte Erfahrungen mit der Bahn gemacht.


Insgesamt haben wir mit Zügen, U- und S-Bahnen, Bussen und Trams knapp 2.000 Kilometer zurückgelegt. Wir sind auf unserer Reise durch 14 von 16 Bundesländern gekommen und wir haben die Gelegenheit genutzt, um Nürnberg, Leipzig, Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Köln genauer anzusehen (und andere Städte wenigstens kurz), wir haben Leipzig von oben betrachtet, einen Leerdenkeraufmarsch vor dem Berliner Reichstagsgebäude gesehen und im berühmtem „Benedict“ gefrühstückt, wir haben in der Ostsee gebadet, sind durch den Alten Elbtunnel in Hamburg gelaufen und haben an den Landungsbrücken Fischbrötchen gegessen, wir haben das japanische Viertel in Düsseldorf durchstreift und dort unfassbar gut gespeist, wir haben Oma besucht, das Schokoladenmuseum in Köln besichtigt und bei einem unfreiwilligen Aufenthalt in Mainz eine Pride-Demo bejubelt. Wir haben in überfüllten Zügen gestanden oder auf dem Boden gehockt, wir haben zusammengepfercht wie Sardinen in der Dose im unterkühlten Waggon gefroren wie die Schneider, wir kennen jetzt mindestens fünf Arten von Kindergeschrei, haben Anschlüsse verpasst und sind durch Bahnhöfe gerannt. Aber wir sind auch in bequemen Sitzen durch die Mark Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gefahren und hatten wundervolle Aussichten auf den Rhein und seine Burgen. Und noch viel mehr. Vor allem mussten wir uns nirgends durch Tarifzonen und Preissysteme fuchsen, wir konnten – ob in Nürnberg, Leipzig, Berlin oder Hamburg – einfach herumfahren und dafür alle Öffis nutzen. Die Reise hat sich für uns wirklich gelohnt.

Fragt man mich, was ich generell vom 9-Euro-Ticket halte, habe ich ein differenziertes Bild. Zum einen halte ich die Idee immer noch für gut, dass man in drei Sommermonaten diese Möglichkeit hatte und hat. Ich selbst bin in dieser Zeit mit wenigen, begründeten Ausnahmen immer mit dem Bus zur Arbeit gefahren. Das kostet mich pro Tag hin und zurück eine Stunde mehr als sonst (und auch das nur, wenn der Bus nicht so viel Verspätung hat, dass ich den Anschluss verpasse), aber ich konnte gleichzeitig Geld sparen und auch noch etwas für die Umwelt tun. Leider ist unser Tarifsystem so teuer, dass ich mit einer Monatskarte nur für die 16 km Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz deutlich mehr Geld ausgeben müsste als wenn ich das Auto benutze. Von Einzelfahrten ganz zu schweigen. Und das ist zu teuer – eben auch für Menschen, die gar kein Auto haben.

Mir ist klar, dass man einen Preis von 9 Euro pro Monat auf Dauer nicht wird durchhalten können – es sei denn, man findet andere Töpfe, um das zu finanzieren oder räumt dem Öffentlichen Verkehr generell eine ganz andere Priorität ein. Aber wenn wir es wirklich ernst meinen mit Bus und Bahn, dann müssen wir das auch so bezahlbar machen, dass es wirklich attraktiv ist.


Und was mir auf der Fahrt auch klargeworden ist: unser Bahnsystem ist Spitz auf Knopf genäht; es ist nicht in der Lage, einen Ansturm, wie wir ihn in den letzten Wochen hatten, zu bewältigen. Ein paar Personalausfälle, ein defekter Zug oder eine Verspätung, die sich letztlich durch das ganze Netz zieht – das reicht schon aus, das ganze System ganz erheblich durcheinanderzubringen. Und dann kommen Leute ganz einfach nicht an ihr Reiseziel. Die Bahn und der Gleiskörper wurde viel zu lange kaputtgespart und es hat sich – ähnlich wie schon beim Gesundheitssystem – gezeigt, dass Privatisierung kein Zaubermittel ist und dass Services, die allen Bürgern dienen sollten, nicht gleichzeitig auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sein dürfen. Und Gewinnmaximierung ist nunmal das Ziel jedes privaten Investors.


Wir wollen einen umweltfreundlicheren Verkehr, wir wollen nicht mehr von der Faschobratze in Moskau abhängig sein und wir wollen, dass auch Bürger mobil sind, die sich zwischen Mindestlohn und Durchschnittsgehalt durchschlagen müssen? Dann aber bitte mit Konsequenz.


„Das 9-Euro-Experiment“

Artikel in der Welzheimer Zeitung vom 3. September 2022

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