Gedacht - Es muss doch mal Schluss sein

„Es muss doch mal Schluss sein ...“

Vielleicht habt Ihr Euch schon gefragt, was für ein „Sternenhimmel“ das da oben ist – und ich werde es Euch erzählen.


Heute ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, der 27. Januar, an dem das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde. Heute vor ziemlich genau 50 Wochen habe ich mit meiner Frau die Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Herzlberg in Jerusalem besucht. 


Yad Vashem ist Gedenkstätte, Dokumentation und Museum zugleich, es gedenkt der Opfer und nennt ihre Namen, zeigt in der „Allee der Gerechten unter den Völkern“ aber auch jene, die in der Zeit der Unmenschlichkeit nicht mitgemacht oder einfach zugesehen haben, sondern den Mut hatten, sich dem Vernichtungswahn entgegenzustellen und ganz praktisch Menschen zu retten. Die Täter selbst werden im Museum eher beiläufig und im Rahmen der Dokumentation erwähnt, man gibt ihnen keinen großen Raum. Das ist Tradition im Judentum: man nennt die Namen der Opfer und gedenkt ihrer - bei Tätern sagt man „ihr Name möge ausgelöscht sein“ – und gibt ihnen keine Bühne.

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht ausführlicher von unserem Besuch berichten, sondern stattdessen etwas herausgreifen, das mich in besonderer Weise berührt hat: Die Kindergedenkstätte. Der Weg führt durch aus Felsensteinen gemauerte Wände unter einen Felsen, vorbei an einem lachenden Kindergesicht, das als Relief vor dem Eingang an der Wand angebracht ist – der kleine Uziel Spiegel, Sohn der Initiatoren der Gedenkstätte, der ihnen im Alter von zweieinhalb Jahren in Auschwitz entrissen worden war. Und dann steht man im Dunkeln und die Vogelstimmen von draußen sind verstummt. Leise Töne sind zu hören und eine Stimme liest die Namen der jüdischen Kinder, die während der Naziherrschaft ermordet worden sind, ihr Alter und woher sie kamen. Eines nach dem anderen. Und es braucht etwa drei Monate, bis das Band wieder an seinen Anfang kommt. Aber es ist nicht wirklich dunkel – man geht an einem Geländer entlang einen Weg, der, so scheint es, von unzähligen kleinen Lichtern umgeben ist. Jedes steht für ein Kind, für ein Opfer der Barbarei, eine kleine, leuchtende Seele. Eigentlich sind es nur fünf Kerzen, deren Licht sich viele tausend mal spiegelt, aber man hat den Eindruck, in einem Weltenraum zu stehen und in die Unendlichkeit der Trauer zu blicken. Keine schrecklichen Bilder, hier schreit das Unrecht nicht, hier singt es leise – nur unzählige Lichter in der Dunkelheit und die Namen, immer mehr Namen. Ich spüre die Hand meiner Frau und sie hilft mir wieder hoch.

Warum erzähle ich das? Erst gestern musste ich wieder Kommentare lesen, jetzt sei es doch mal genug. Müsse man das denn immer wieder erzählen? Wäre es nicht endlich mal gut? Und ich möchte schreien: „Nein, verdammt!“. Denn spätestens in dem Moment, wo wir vergessen, was geschehen ist, wird es nicht mehr gut sein. „Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen“ sagt der spanische Philosoph George Santayana und das ist der Kern.


Es geht nicht um Schuld und schon gar nicht um eine kollektive. Denn ich kann immer nur für mein eigenes Handeln verantwortlich sein. Es geht um Verantwortung – um die Verantwortung dafür, dass sich nie wiederholen darf, was geschehen ist. „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“ (Max Mannheimer)


Das ist die Botschaft des Holocaust-Gedenktages. Vergesst es nie. Und: Nie wieder!


(27.01.2021)

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