Erzaehlt - Herrenberg

Herrenberg



Ein Text, der geschrieben werden wollte

Das Wetter ist trübe und diesig, der leichte Nieselregen schwindet. Der kleine Wochenmarkt ist eingerahmt von Ahornbäumen und hoch droben bilden die Blätter ein grünes Dach. Leises Gemurmel ist zu hören, Verkaufsgespräche, hier klimpert etwas Kleingeld, drüben tauchen Kartoffelstäbchen mit leisem Zischen in heißes Fett, es riecht nach Gemüse und Käse, nach Würstchen und nach frischem Fisch. Und plötzlich erhebt sich eine leise, zarte Stimme, die schwer zu bestimmen ist. Ich höre eine hohe, sanfte Melodie, die keinen Noten folgt und doch harmonisch und schön über dem Platz schwebt, an den Ständen vorüberweht und mit den Ahornblättern spielt.

Und dann sehe ich es: ein kleines Kind mit hellblauer Jacke in einem Buggy, die Mutter steht in einer Schlange und das Kind blickt direkt in eine kleine Auslage mit Erdbeeren. Es sieht aus, als sänge das Kind die Erdbeeren an. Aber sein Blick ist leer und groß und schaut in die Weite, der Wirklichkeit entrückt. Es ist im Hier und Jetzt und doch ganz woanders – und selbstvergessen klingt das Lied ohne erkennbare Worte durch die Erdbeeren und die Kartoffeln, weht durch die Luft und legt sich auf den Marktplatz wie eine kleine, unsichtbare, warme Decke, wie eine andere, helle Wirklichkeit, die sagt „hör hin und vergiss, was dich belastet – auch ich bin da“.


(19.07.2021)

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