Erzaehlt - Beim Friseur

Beim Friseur

„Wie soll's denn werden?“ Ja, öh - kürzer eben. Oder sehe ich aus, als ob ich eine Haarverlängerung will? Also an den Seiten schön kurz und oben eben etwas länger. „11 Millimeter an den Seiten?“ fragt sie. Ja was weiß ich, wieviele Millimeter sind kurz? Saure Heringe. Ich muss an saure Heringe denken. Sie muss wohl mehrere Fischbrötchen verdrückt haben, unmittelbar bevor ich den Friseurladen betreten habe. Wie kurz ist 11 Millimeter? Warum nicht sieben? „Sieben? Nein das wäre schon sehr kurz“ meint sie. Dann eben 11.


Hirtshals, 1987. Plötzlich ist die Erinnerung wieder da. Der fast menschenleere Hafen, die Fischtrawler - und dann direkt am Kai etwas, das aussah wie ein verendeter Delphin. Und das so roch wie etwa 20 verendete Delphine. Es müssen wohl auch Zwiebeln auf diesen Fischbrötchen gewesen sein.


„Und oben? So ungefähr?“ Sie hebt meine Haare an und zeigt mit dem Finger willkürlich in die Schillerlocke. Wie es wohl aussieht, wenn alle Strähnen so lang sind wie der Abstand dieses Fingers von meiner Kopfhaut? Ich Weißfisch… - pardon, ich weiß nicht. Sie soll es einfach so Thun wie sie es für richtig hält. „Machen Sie's so wie sie denken“ sage ich etwas Barsch. Sie wickelt mir einen Papierkragen um den Hals, schwingt einen Umhang um mich und sprüht meine Haare mit einem Zerstäuber ein.

Ich spüre ihren Atem auf meinen nassen Ohren, mir Stockfisch der Atem. „So, dann wollen wir mal…“ Das Zischen des Zerstäubers erinnert mich an das Geräusch beim Öffnen jener ausgebeulten Fischdose mit schwedischem Strömling, die mir eine bleibende Erinnerung wurde. Der Fisch wird mitsamt den Innereien eingelegt und entwickelt einen erstaunlichen Gestank, während er reift. Normalerweise isst man ja keinen Dosenfisch mehr, wenn die Dose ein Sardellen hat... ein paar Dellen hat.


Die ersten Haarsträhnen flundern zu Boden. Mir ist danach, mitzufallen. „Ist die Länge so recht?“ Jaja, Knurrhahn ich. Man sollte Friseuren den Genuss von Fischbrötchen verbieten. Oder wenigstens im Dienst. Nein, auch außer Dienst. Überhaupt sollte man Fischbrötchen verbieten. Oder ganz einfach alle Brötchen. Ein Fön bläst letzte Haarsträhnen und Duftwolken weg und sie präsentiert ihr Werk, den Spiegel so haltend, dass die entstehende Landebahn auf meinem Hinterkopf außer Sicht bleibt.


„Gefällt's Ihnen?“ - Hummer! Lobe ich sie. Hecht gut. Sie sieht mich an wie ein Stockfisch. Habe ich das wirklich gesagt? Die Sonne scheint draußen, ein leises Lüftchen weht, es riecht nach Frühling. Ich habe Hunger. Wo ist der nächste Nordsee?


(08.04.2016)


Share by: